Intensives Tech Noir - Observer (2017)



Krakau 2084. In den verregneten Straßenzügen der polnischen Metropole erwacht
Daniel Lazarski in seinem Dienstfahrzeug. Müde, abgeschlafft wie das vergrämte Antlitz der verlotterten Stahlstadt selbst. In dieser düstermattierten Zukunftsvision ging der Mensch einst eine folgenschwere Fusion mit der Maschinenwelt ein. Augmentierte Cyborgs wurden zu Alltagsrealitäten, der Erdkreis innerlich wie äußerlich vernetzt. Robust-gestählte Gelenkfabrikate an Stelle schwächlicher Muskulatur, VR-Geflechte in den Hirnwindungen und hochauflösende Displaypupillen für verbesserte Sehkraft waren nur Teilkonstrukt der ultratechnisierten, neuen Scheinwelt, ehe eine seuchenähnliche Bedrohung diese glänzend-sterile Fassade in zahllose Splitter zerschmetterte. Vor den gräulichen Hintergrundkulissen des immerwährenden Ost-West-Konflikts traf der Scherbensturm auch das stolze Neo-Krakau mit der explosiven Wucht tausender Sonnen. Gesellschaft wie Technologie wurden um Jahrzehnte zurückgeworfen, Unzählige fielen der verheerenden Seuche zum Opfer, die die cybernetischen Implantatstrukturen befiel. Aus der Asche der gefallenen Zivilisation erhob sich der machtvolle Techkoloss Chiron als alleinherrschendes Instrument, die Klaviatur der Technikspiralen beliebig bespielbar. Die Realität seither, trübe und dreckig. Heruntergekommene Mietskasernen beherbergen anonyme, teilaugmentierte Bewohner, mindestens genauso marode und heruntergewirtschaftet in Geist und Habe. Im starken Kontrast zur Rüstungsvision der Maschinenwesen stehen nun MS-DOS-artige Blinkklötze in den abgewrackten Wohnzellen.

Lazarski steht in Diensten des Konzerns als eine Art Cyberdetektiv - die Erkundungssinne mit technologisch- wie biologischen Scannern geschärft - der sich in künstliche Schädelimplantate hineinversetzen, sie wie einen herkömmlichen Datenübertragungsstick anzapfen und in Erinnerungsfetzen der betreffenden Person bewegen kann. Seinesgleichen nennt man



 >Observer_




Urplötzlich surrt das altbackene Bordtelefon, während Regentropfen unbändig an die beschlagenen Scheiben klopfen. Daniels verlorener Sohn Adam, hochdekorierter Ingenieur bei Chriron meldet sich mit blecherner Stimmlage, stammelt wirre Phrasen. Der Kontakt war nie der Engste, dennoch fühlt der alternde Ermittler die väterliche Emotion in seinem halbmaschinellen Körper pochen. Schnell ist der Herkunftsort des mysterösen Anrufs ausfindig gemacht und Lazarski steuert auf dem feuchtspiegelnden Asphalt in Richtung eines schäbigen Wohnklotzes. Regenschauer peitschen auf die rostigen, mit Kameralinsen versehenen Eingangstore, ehe dem nachdenklichen Detektiv Einlass gewährt wird. Gelbgrünliche Farbtöne bestimmen von nun an das Bild des hochartifiziellen Gebäudeinneren, ein Reinigungsbot gleitet leise brummend durch einen trübilluminierten Gangbereich, sorgt für ein seltsam steriles Stimmungsgefüge. Im ockerfahlen Schummerlich lehnt ein zwielichtig aussehender Hausmeisterverschnitt hinter einer schmutzigen Verglasung, fast wirkt er mit der dämmrigen Umgebung verschmolzen. Glatzköpfig, augmentiert, wortkarg.

Nach kurzem Dialog mit dem knurrigen Gangwart möchte sich Lazarksi gerade näher in den ranzigen Korridoren umsehen, da befindet sich der taumelnde Gebäudekomplex mit einem Mal im Status der Abriegelung. Niemand kann hinaus, niemand hinein. Erklärung Fehlanzeige. Heimspiel für das Bloober Team.

Die polnische Spieleschmiede mit passendem Sitz in Krakau versteht sich auf verstörende Erlebnisse in beengter Umgebung. Schon das vorherige Werk "Layers of Fear", ein beängstigender Psychotrip in die verzerrten Abgründe einer desillusionierten Künstlerseele, spielte mit dem Unerwartbaren in den einsamen Hallen eines opulenten Herrenhauses. Räume, die nach Kameraschwenk mit veränderter Architektur und Einrichtung den Spieler verwirrten, trafen auf eine soundtechnisch dichtgesprenkelte Untermalung des nicht greifbaren Grauens, Visionen ertrunken in Bächen voll Alkohol und Tränen. Furchterregende Fratzen sprangen aus vormals musenhaft schönen Portraits, der Künstler selbst als wahnhafter Grenzgänger auf dem innerlichen Scherbenhaufen verflossener Hochphasen. Parallelen der Geschichten gefallener Helden finden sich auch bei Observer Daniel Lazarski.

Blade-Runner-Ikone Rutger Hauer übernahm hier die Synchronarbeit für den wankenden Protagonisten in dieser Cyperpunkversion moderner Furchterzählung. Hinter all den wässrigen Nuschelsätzen dringt immer wieder verschmitzte Ironie an die technoide Oberfläche. Sein Charakter wächst somit beständig ans Herz des neutral beobachtenden Spielers. In genau diesen Momenten beginnt sich die Sogwirkung des Datenthrillers vollends zu entfalten. Während Lazarski durch die stummen Flure des fremdartigen Mietsbunkers tappt, huschen aufgeschreckte Vögel durch die verkabelte Einöde. Die Kontaktaufnahme zu den wenigen Mietern gestaltet sich in der denkbar entmenschlichsten Form, durch ein verzerrt-unscharfes Kameraauge vor der verschlossenen Wohnungstür. Auf diese Weise erfährt der Ermittler von den verschrobenen Hausbewohnern manch pikante Information zuviel über Nachbarn, Situation und Zustand. Während dieser Recherchen stößt Daniel in einem blutüberströmten Raum zu seinem Entsetzen auf den grotesk entstellten Leichnam eines augenscheinlichen Hausgenossens. Routinemäßig geht er daraufhin seiner Haupttätigkeit nach, dem Erforschen der finalen Augenblicke des Dahingeschiedenen. Dadurch offenbart sich der zweite spielerische Hauptstrang des Spielerlebnisses. Die Gedankenwelt des Mordopfers. Letzte Momentaufnahmen als befremdlicher Bilderreigen. Ruckartige Fragmente. Scharfe Schnitte. Cut. Nächste Vision.

Der Spieler bewegt sich in kunstvollen Albtraumszenarien voller gesichtsloser Kreaturen, flimmernden Wegpunkten, so als tauche er in ein defektes Netzwerk ein, ein mikriges Kilobyte im virulenten Datenmaelstrom. Dort gibt es situativ gestreute Aufgaben, sei es die bloße Erfassung der angezapften Erlebnisse oder die blanke Flucht vor einem nachtmahrartigen Technoiden. Manifestation verdrängter Schuld? Verloren im Schlund einer konvergierten Techhölle, bratzende Scanner, flackernde Partikel. Wer ist dieser alternde Daniel Lazarski im zerbeutelten Trenchcoat? Wird der Spieler hier Zeuge eines persönlichen Niedergangs inmitten einer gebeutelten Kultur, die kargen Dämmerappartements Spiegelbild einer gebrochenen Seele? 

Fragen, auf die der Spieler Antworten finden wird.

Auf diese Weise wird er selbst Teil des Systems. Ein Observer.










 

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