Seit
gut zwei Jahren wurde diese Reise geplant und immer wieder verschoben.
Nicht gerade
die beste Jahreszeit, eine lang geplante Fahrt nach Bosnien, nach
Sarajevo anzutreten: die letzte Novemberwoche 2009. Die Neugier ist
groß: Was ist das für eine Stadt, die in Europas Geschichte immer wieder
blitzartig auftaucht, um dann auf Jahrzehnte wieder
in Vergessenheit zu geraten? Der 28. Juni 1914, die deutsche Besatzung
im 2. Weltkrieg, dann die Olympischen Winterspiele 1984 mit dem
Maskottchen, einem Wölfchen, Katharina Witt, der „Bolero“ von
Torvill/Dean. Und der Bosnienkrieg von 1992 bis 1995. Krieg
in Europa, eine belagerte Stadt, vor der eigenen Haustür…. Was ist das
für eine Stadt, die Europa verkörpert und doch schon Orient ist?
Unterwegs
Autobahnen.
Einerlei: Berge, Tunnels, Berge. Im Dunkeln Ljubljana, Straßen,
Hochhäuser,
Industrieschornsteine. Nebel, kaum zehn Meter Sicht. Nachts, in
Kroatien. Tausende ewige Lichter rot von Friedhöfen leuchtend. Nebel.
Als der sich lichtet: Republik Serpska. Bloß die
Geschwindigkeitsbeschränkung einhalten – die hinter jeder Kurve
lauernden Streifenwagen finden allemal einen Grund, Autos mit
ausländischen Kennzeichen anzuhalten. Ein einträgliches Geschäft. Oder
Schikane.
Oft beides. Merkwürdig, daß es in der Erinnerung
immer Nacht war. Da war doch auch mal die Bosna, deren Lauf wir
am Tag folgten? Landstraßen, mal ein Stück Autobahn, Landstraßen – Berge
und Fluß.
Sarajevo,
13
Jahre nach Kriegsende. Ein Gewirr von Straßen und Hochhäusern, an den
Fassaden Einschläge
der Granaten. Ruinen neben Rohbauten. Ankommen in Mojmilo, als
Olympisches Dorf für die Winterspiele 1984 hochgezogen; die kleine
2-Zimmer-Wohnung der Freundin bietet Ausblick auf die
König-Fahd-Moschee, einen Riesenbau, von Saudi-Arabien finanziert und
mit
Bibliothek und Gemeinschaftsräumen, Unterrichtszimmern usw.
ausgestattet: Treffpunkt der Salafisten, längst nicht von allen
Muslimen Sarajevos geschätzt – auf einen Supermarkt, andere Hochhäuser –
und nach hinten raus auf einen grünen Hang, das SOS-Kinderdorf und
daneben das Kinderheim einer islamischen Organisation.
Am
Morgen -ich hab‘ es in Nura und Nermin, meinen Gastgebern, mit
Langschläfern zu tun
- mache ich mich auf die Suche nach einer Bäckerei, immer der Nase
nach. Schon an der nächsten Ecke grüßt Vucko, das Maskottchen von 1984,
(Wutschko. Ich hab hier nicht die passende Tastatur) breit
grinsend von einer Fassade herunter: ein schönes Wiedersehen! Etwas
blaß, aber von Schüssen verschont geblieben. Wenige Meter weiter ein
Denkmal für
die Verteidiger des Viertels: neben muslimischen immer wieder serbische
und kroatische Namen… nein, das war kein „ethnischer Konflikt“. Das war
ein Krieg des Nationalismus gegen die Menschlichkeit. Ein Krieg
machtgieriger Politiker und aufgeputschter Nationalisten
gegen Offenheit und Herzlichkeit. Da, eine Bäckerei! Mit viel
Gestikulieren, Fingerzeigen und Gelächter kaufe ich, was duftet, und
mache mich auf den Heimweg, wo mich schon der Kafa erwartet….
Eine
Fahrt in die Altstadt. Immer wieder die Hinweise auf neu errichtetes,
renoviertes.
Aber auch immer wieder die Spuren der Zerstörung – hier die Sniper
Alley, das sanierte Holiday Inn, in den gleichen scheußlichen Farben wie
zuvor. Die Miljacka entlang, die mich an Freiburg erinnert: Freiburg
liegt bisweilen an der Dreisam… die stellenweise
die Grenze zwischen Belagerten und Belagerern war. Das Auto,
ein Golf (Sarajevo und der VW Golf wären eine eigene Geschichte
wert!) wird auf einem bewachten Parkplatz abgestellt, andernfalls fände
man es später womöglich nicht mehr.
Wir überqueren die Miljacka an der Nationalbibliothek, die
gerade renoviert wird, und betreten die Bascarscija, ein Gewirr von
grauen Häuschen, in jedem Untergeschoß ein Laden. In jeder Gasse ein
Handwerk:
Kupferschmiede, Schuhmacher, Teppiche, Touristisches, Cafés…. Orient!
Menschenmassen ohne Hektik unterwegs, ältere Männer oft noch mit
Baskenmützen, die unter Tito die Kopfbedeckung männlicher Muslime
ersetzte. Gelegentlich ein Bärtiger, Frauen mit Hijab neben
und auch mal Arm in Arm mit Frauen in Minirock, mal modisch, mal
einfach, mal zeitlos elegant – eine europäische Großstadt mit
Orientflair. Zentral sind hier, obwohl nicht zentral gelegen, der
Sebilj, ein einstiger öffentlicher Brunnen, und die Begova, die
Gazi-Husrev-Beg-Moschee, ein der ältesten Moscheen Bosniens, mit dem
außerhalb des Moscheegeländes stehenden Uhrturm, der Sahat kula. An der
Ecke sprudelt ein Brunnen: „Wenn du davon trinkst“, meint die Freundin,
„wirst du wieder nach Sarajevo zurückkehren!“
Sarajevo:
die katholische Kathedrale, die Ewige Flamme, Konsumtempel – das
islamische
Opferfest ist in diesem Jahr weihnachtlich geschmückt, das geht hier
selbstverständlich nebeneinender, wie man auch gemeinsam feiert – in
einer Straße, die ähnlich in einer österreichischen Stadt liegen könnte:
Häuser entstanden unter der Herrschaft der Habsburger,
Prunkbauten der Gründerzeit. Das Franziskanerkloster und die zugehörige
Brauerei jenseits der Miljacka am Hang gelegen, die Synagoge am
Miljacka-Ufer, die Ruine der Zigarettenfabrik (Sarajevo Marlboro…
- ich nehme mal an, diese langgestreckte Ruine war die
Zigarettenfabrik, heute finde ich keine Bilder oder Hinweise mehr
darauf. Das Denkmal für die UN-Hilfslieferungen: eine goldene Blechdose.
Der Inhalt dieser Dosen, eine Art Rindfleisch, war so wenig
schmackhaft, daß sogar die Katzen und Hunde es verschmähten, ein
Erinnerungsort für Tito, das klassisch bosnische Wohnhaus als Museum,
Inat Kuca, das Trotzhaus, umwerfende Balkanküche in einem Haus mit einer
Geschichte für sich…
Morica Han,
die
alte Karawanserei, in der Bascarscija gelegen, ein von den typisch
niedrigen grauen
Häusern des Viertels gebildeter Innenhof, ein Café, ein Teppichladen
unter offenen Arkaden – alle Farben Persiens leuchten gegen den grauen
Tag an. Inmitten ein großgewachsener junger Mann mit tiefbraunen Locken
und tieftraurigem Blick. Rafid erzählt mit einem
Lächeln vom Verkauf, von Touristen und den Einheimischen, die hier kaum
Kunden sind, von der Musik, von der er gern leben würde, von
gelegentlichen Einnahmen als Fotomodell und wie mühsam es ist, im Land
zu leben. Wie die Politik, die aufgezwungene Verfassung,
das Leben abschnüren, die Grenzen zwischen den Menschen festschreiben.
Wie sehr die Wunden des Krieges heute noch schmerzen, erzählt er nicht …
er war ein Kind in der belagerten Stadt. Er sieht eine trübe Zukunft.
Und lacht. Und schmiedet Heiratspläne.
Heiratspläne
schmiedet
auch Aida. Wir lernen Aida bei einem Besuch bei Jutta kennen. Jutta
kommt aus
Thüringen, nennt sich seit ihrem Übertritt zum Islam Safeta und ist mit
einem bärtigen mit Nachthemd bekleideten Bosnier verheiratet, der an
der Fahd-Moschee Klamotten verkauft. Jung, naiv und unbedarft erzählt
sie von den Ansichten ihres Mannes über den Islam.
Der vertritt nun alles andere als die offene, weltzugewandte Seite des
Islam, der Bosnien so liebenswert macht. Aida wiederum kommt vom Land
und soll oder will hier ihrem Zukünftigen begegnen, der nicht mehr jung
ist, verheiratet und sich gern eine junge arbeitsame
und anspruchslose Zweitfrau zulegen will. Aida ist Anfang Dreißig, also
auch nicht mehr jung, mittellos und ohne Familie. Und hin- und
hergerissen. Sie habe keine andere Wahl, meint sie.
Ganz anders Jasmina. Groß, schlank, honigblond, modisch elegant,
empfängt sie uns in ihren kleinen, aber gepflegten vier Wänden. Sie hat
das Glück, einen Halbtagsjob in der Deutschen Botschaft in Sarajevo
gefunden zu haben. Und das zusätzliche Glück, daß auch ihr Mann Arbeit
hat: eine Seltenheit. Doch auch hier dreht sich
das Gespräch um Alltagssorgen: die Gehälter zu niedrig im Vergleich zu
Lebenshaltungskosten, zu viele junge Menschen ohne Zukunftsperspektive,
zu viele, die das Land verlassen: „Die Gebildeten, die Weltoffenen
gehen, es kommen und bleiben die vom Land und
bringen ihre Traditionen, ihre Kopftücher
und ihre Feindbilder mit. Sarajevo verarmt geistig und
intellektuell.“ Und immer wieder nationalistische Töne aus der Politik.
„Früher hat keiner darauf geachtet, ob du nun einen bosnischen,
kroatischen oder serbischen Namen hast.“
Wir
besuchen andere Frauen, hören andere Geschichten. Immer dabei: die
unvermeidliche
Plastiktüte, gefüllt mit Kaffee, Süßigkeiten, Obst … Man teilt
ungezwungen und großherzig in einem Land, in dem viele sich wenig
leisten können. Man begrüßt sich, auch Fremde, mit einem herzlichen
Lächeln und einer Umarmung. Freude geben kostet nichts. Aber
es wärmt.
Kontraste
Verläßt
man, entlang der Miljacka, das alte Sarajevo, beherrschen Hochhäuser
das Bild:
der Avaz Twist Tower, der von der Aussichtsterrasse einen wunderbaren
Ausblick und im Inneren eine Ausstellung über das belagerte Sarajevo
bietet. Das Parlamentsgebäude, die UNIS-Türme… weiter Richtung Flughafen
und Butmir wird neben Ruinen neu gebaut: Ein-
und Zweifamilienhäuser, die zumeist leerstehen oder zu
unerschwinglichen Preisen vermietet werden, gebaut von Diaspora-Bosniern
aus Deutschland, Österreich, der Schweiz, die in der Heimat Urlaub
machen und in Nostalgie baden. Und die ehemaligen Olympischen
Dörfer, gesichtslose Hochhaussiedlungen, die Fassaden immer noch
geprägt vom Krieg. Im Erdgeschoß eines dieser Hochhäuser in Dobrinja
lebte währen der Belagerung mein Gastgeber Nermin, direkt an der
Frontlinie: Griffen die Serben vom gegenüberliegenden Hang
aus an und waren überlegen, flüchteten die Verteidiger durch das
Wohnzimmer seiner Eltern. In Dobrinja begann auch der Tunnel, der unter
dem Flughafen nach dem außerhalb der Stadt liegenden Butmir führte: drei
Kriegsjahre lang wurde Sarajevo über ihn mit Nachrichten,
Nahrungsmitteln und Waffen versorgt, viele Menschen konnten durch ihn
fliehen. Heute ist an seinem Ausgang in Butmir ein kleines Museum, der
Tunnel selbst einige Meter weit begehbar. Das alles schaue und höre ich
mir an, in Nura habe ich eine kundige Fremdenführerin,
die Bilder sprechen für sich – und nach nur wenigen Minuten habe ich
genug. Zuviel. Und stürze mich auf die Katzen der Familie Kolar, die
sich schnurrend locken, streicheln und kraulen lassen …
Viel
wäre noch zu erzählen – vom Krieg, von geflüchteten Kindern, die sich
mittlerweile
in der Diaspora ein Leben aufgebaut haben, von denen, die für ein
freies, von Nationalismen und religiösen Grenzen freies Sarajevo
kämpften und heute mit lächerlich kleinen Renten ums Überleben kämpfen.
Von Romakindern, die in Müllcontainern wühlen, während
ihre Altersgenossen die Schulbänke drücken. Vom Leiden der ungezählten
Frauen, die Opfer systematischer Vergewaltigungen wurden, von deren
Kindern… all das ist erzählt worden.
Von Einkaufszentren, die westeuropäischen weder an Ausstattung noch Angebot nachstehen,
mit Waren, die dem Durchschnittsverdienst eines Bosniers unerschwinglich sind.
Vom
Ausverkauf eines Landes, von Politikern, die heute wieder mit
nationalistischen Parolen
hetzen. Von einer Verfassung, die einen Frieden brachte, der die
Grenzen zwischen den Ethnien zementiert, die Minderheiten ausklammert,
die eine Verbesserung politischer und wirtschaftlicher Verhältnisse
unmöglich macht. Von einer EU, die fordert, ohne zu
fördern, wo es notwendig und sinnvoll wäre. Vom Spott hiesiger Medien
über die überdimensionale, überteure Regierung – die Bosnien dem von
außen diktierten Dayton-Vertrag zu verdanken hat, an dem nicht gerüttelt
werden darf. Von arabischen Investoren, die
heute, da Europa kaum mehr Interesse hat, das Land aufkaufen und einen
Islam verbreiten, der mit der seit Jahrhunderten in Bosnien gelebten
Toleranz nichts gemeinsam hat …
…
Aber auch vom bosnischen Humor – diese Fähigkeit, über sich selbst und
die eigene Misere
zu lachen. Von der Herzlichkeit der Menschen, der Wärme, mit der sie
dich aufnehmen. Mit dir teilen… Das Lachen, das Weinen und das letzte
Stück Brot.
Wer Bosnien-Herzegovina und Sarajevo kennenlernen möchte, dem lege ich den Reiseführer von Amel Salihbasic ans Herz:
Vom Bosnienkrieg und den Jahren danach berichtete Erich Rathfelder:
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