Verstörend perforierte Selbstfindung - Indika (2024)

Einzigartig anders.

Das seltsame Spielerlebnis "Indika" zelebriert einen avantgarde-esquen Konversions-Trip mit sich im dezenten Dauerfeuer entladenden Surrealismuseinschüben, der aus der vielfältig-bunten Spielelandschaft nachhaltig hervorsticht.. Die wenigen, doch präzise pointierten Horror-Elemente wirken dazu in teils unangenehm eindringlicher Markanz nach.

Im Zuge medialer Vorberichterstattung, des denkwürdig-schaurigen Coverarts, sowie der interessanten Grundprämisse der innerlich zerrissenen Nonnenfigur in einer Steampunk-angehaucht alternativen Realitätsebene Russlands bin ich eigentlich von einer eher klassisch geprägten Grusel/Scare-Story in klaustrophobischer Klosteratmosphäre ausgegangen.

Bekommen habe ich jedoch eine sorgsam ausstaffierte Mixtur einer nachdrücklich skizzierten, ungewollten Fluchtepisode zweier ungleich gestellter Protagonisten, die sich im oberflächenrandkratzend gleichtönenden Glaubensbekenntnis wiederfinden, sich im Laufe des in detailierten Cutscenes und Dialogsequenzen präsentierten Handlungsstrangs in theologisch-philosophisch anmutenden Gesprächen sowohl annähern, wie auch gelegentlich entfremden.

Indika durchwandert hierbei als zentraler Fixpunkt mentale Täler der Isolation, Gewissenspain und Selbstbesinnung. Sehr wahrscheinlich durchläuft sie auch mehrere Stadien einer Psychose.

Als Startpunkt ihrer außergewöhnlichen Reise fungiert das schattige Klostergemäuer, in dem die hilfsbereite Indika zwischen hohen, massiven Mauerwerk und schneematschigen Pfaden umherwandelt und für die gestrenge Oberin sinnlose Beschaffungsmaßnahmen in der sich immerwährend drehenden Gebetsmühle des Konvent-Alltags ausführen muss (welche mit retro-nostalgischen Highscore-Werten und Pseudoleveling permanent eingeblendet werden) und infolge eines wahnhaften Anfalls während einer schummrigen Messe mit einjährigem Klosterarrest bestraft wird. Nach dieser Zeitspanne des Darbens eröffnet ihr ein Botengang zur nächsten Groß-Abtei einen Hauch zarter Freiheitsbande und die freudlos-mattschwarze Dunkelheit der orthodoxen Trutzburg öffnet ihre schweren Holzpforten in die namenlosen Weiten der eisglitzernden Wildernis. Behutsam, doch zielstrebig durchstreift sie die winterlich alpinweiß-gräuliche Monochromie des spätrussischen Zarenreichs vorbei an kargen Behausungen voll architektonisch kurioser Strukturen, verdrehten Baumformationen und befremdlichen Maschinenkonstrukten. Zufällig stößt sie dabei auf den entflohenen Sträfling Iljah und schließt sich nach Momenten anfänglichen Zögerns und Misstrauens dem gutherzigen, doch schwerverletzten Soldaten auf der Suche nach einer heiligen Reliquie an, was den prägnanten Wendepunkt in Indikas tiefreligiösen Gesinnungsgeflecht markiert, sie der innewohnenden, blutrot eingefärbten Stimmlage des Zweifels und Spotts vermehrt nachgibt, den Himmel und die Hölle abwiegend.

In der Folge überstürzt sich die fragile Ereignisspirale und der Drang Indikas dem figurativen Fundament aus Reue, Schuldkomplex und Verzeihung erste Risse zuzufügen und sich den dräuenden Reizen des Verbotenen, sexuell aufgeladenen Gelüsten und der freigeistigen Normalität abseits der strikt verwurzelten Abteikonventionen hinzugeben steigt exponentiell an. Als starker Kontrastpunkt zur kühlen Texturierung der Haupthandlungskulisse durchläuft der Spieler in malerisch warme Farbtöne getauchte, wiederkehrende 8-Bit-Minispiele, welche Indikas zunächst unbeschwerte Jugend aus unbekümmerten Wettrennen mit dem sorgenden Vater, kühnen Kletterpassagen und den ersten sexuellen Erfahrungen hin zu einem einschneidend schockierenden Schlüsselerlebnis abbilden.

Die musikalische Begleitung gestaltet sich mal flirrend-sphärisch, mal elektronisch pulsierend mit Dubstepnoten, andernorts herrscht bleierne Grabesstille, nur durchzuckt von metallisch pluckernden Sounds oder tupfender Ambientakustik. Auch legt das bedachte Gameplay einen größeren Fokus auf das Lösen simpler, sich stets ändernder Umgebungsrätsel, wie das Navigieren eines Baukrans, dem Umplatzieren von Brückenteilen oder einer alptraumhaften Fluchtsequenz vor einem monströsen Hundewesen, über dessen Grundgesinnung Indika und Iljah in einem Deutungsversuch zwar leise philosophieren, die schiere Existenz wie so manch andere surreale Begegnung jedoch fragmentartig in einer diffusen Schattenwelt mäandert.

Hervorzuheben wäre zudem noch der verstörende Abschnitt der Fischverarbeitungsanlage. Ausgerechnet auf dieser lebensfeindlichen Bühne kommen sich beide geschundene Seelen näher, als Indika im wärmenden Schein eines Ofenfeuers ihren Schutzmantel zum ersten Mal vollständig mehrdeutig ablegt, Emotionen und eigenes Handeln wiedererlangt und ihre zuvor festgefrorenen Grenzen auftaut, sich neu aufstellt. Auch Iljah offenbart ihr Persönliches in einer Momentaufnahme zwischenmenschlicher Intimität.

Die zu durchquerenden Fabrikhallen dagegen entpuppen sich als überdimensioniert bizarre Metallfestung voll sonderbarer Apperaturen, turmhohen Riesenkonserven und an Haken hängende, mannsgroße Fischkadaver, deren bedrohliche Silhouetten groteske Schatten auf die rostüberzogenen Oberflächen werfen. Indikas umherwandernder Laternenschein illuminiert dabei einem orangerot-glimmenden Leuchtfeuer gleich als einzig kontrastreiche Lichtfarbe die alienartige Szenerie endlos verschlungener Ganglabyrinthe, in der im Hintergrund einmal kurz sichtbar unförmige Gestalten in grünen Schutzanzügen über eine Plattform schlurfen..Arbeiter? Einbildung? Indikas Wahrnehmungskapazität gleicht einem Fiebertraum, der in den finalen Schlussakkorden in einem absonderlichen Blutbad mündet, woraufhin sie sich in einem auffallend langen, dreckigen Außengang einer tristen Gefängnisumgebung wiederfindet. Dort bringt ihr ein triumphierender Wächter die grauenhafte Geschichte eines, zuvor gehängten, mordenden Scheinheiligen nahe und schließt sie daraufhin in ein modriges Verließ ein.

Dort vollendet sich Indikas intrinsische Metamorphose, sie wird eins mit der innereren Dämonologie, sündigt um zu entfliehen, nimmt sofortige Rache in einem Akt ungezügelter Gewalt. Die letzten Spielmomente geschehen parallel zur Veränderung in der Ego-Perspektive, bis sie vor einen Spiegel tritt und den Gehörnten erblickt. Besteht dennoch Hoffnung? Findet Indika ihren Platz in der Welt? Spielt es selbst und versucht zu verstehen. "Indika" hat eine Spielzeit von rund 4 Stunden und ist erschienen für PC, Xbox Series S/X und PS5.

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